Timo Krstin
Autor, Theatermacher & Journalist.


Wolfsmilch
Roman, 2024, edition 8
Zoran Blasić ist ein Aufsteiger. Als Spross jugoslawischer Gastarbeiter, hat er es in Zürich zum mittelmässigen Bildungsbürger gebracht. Diskriminierung und Arbeitskämpfe spuken nur noch als dumpfe Erinnerungen durch das Familiengedächtnis. Es bleiben ein paar Gespenster aus der Vergangenheit und ein unerklärliches Alkoholproblem. Um die Sucht in den Griff zu bekommen, zieht Zoran mit seiner Frau Michi für einen Sommer in die kleine Ostschweizer Gemeinde Schatterbach.
Angekommen im Postkartenidyll, beginnt die Fassade sofort zu bröckeln: Schatterbach feiert jährlich eine Art Chlausenjagd, bei der mit einer Prozession unter Vogelmasken das Böse aus dem Dorf vertrieben werden soll. Doch statt die Gemeinschaft von ihren Gespenstern zu reinigen, scheint es, als würde das Maskenfest die Toten heraufbeschwören. Plötzlich laufen junge Menschen wie Zombies durch die Gassen von Schatterbach, die mit ihrer Kleidung und ihrem Gehabe die Neunzigerjahre wieder aufleben lassen, ein Jahrzehnt, das Jugoslawien blutige Kriege und der Schweiz einen neuen rechtspopulistischen Rassismus brachte.
Während Zoran zunehmend besessen den lebenden Toten in Schatterbach nachforscht, durchlebt er noch einmal die Familiengeschichte als Klassenkampf: Großmutter und Vater wurden in der Schweizer Diaspora von stolzen Kommunisten zu serbischen Nationalisten. Er selbst beendete seine Jugend als orientierungsloser Teenager mit einer nicht wiedergutzumachenden Gewalttat.
Leopardenmorde Roman, 2022, klak Verlag
1945 stellt sich der SS-Offizier George E. den amerikanischen Behörden und wird als hoher Nationalsozialist angeklagt. Dank einer juristischen Spitzfindigkeit gilt er bald als entnazifiziert. Seine Frau Kara bringt in einer süddeutschen Kleinstadt die Familie durch, zu der eine Tochter und die geheimnisvolle Ruth gehören, und schweigt über seine Verbrechen. Georges rhetorisches Talent führt ihn nach der Haft in eine neue politische Karriere, anfangs in rechten Strömungen, bald als Friedensaktivist in die aus der DDR finanzierte pazifistische Partei Deutsche Friedens-Union. Erst als Jahre später der Enkel mit der Sprache des Großvaters wieder Politik macht, wendet sich das Blatt.
„Und man beginnt von vorne, indem man vergisst.“
„Männer wie der hier“, sagte die Frau und tippte mit dem Finger auf die Unterlagen, „arbeiten seit Kriegsende an dem Mythos, dass sich kein Land so intensiv mit der eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt hat wie Deutschland. Und weil diese Männer mittlerweile sich selbst und alle anderen davon überzeugt haben, dass der Mythos stimmt, muss sich niemand mehr der eigenen Vergangenheit stellen.“
“Leopardenmorde” ist ein Generationenroman über die weit zurückreichenden Wurzeln populistischer Parteipolitik und über eine gescheiterte Vergangenheitsbewältigung aus der Sicht einer von Migrationserfahrungen geprägten Enkelgeneration.


Niederschlagsarten Gedichtband, 2018, aphaia Verlag
zu wünschen, was trocknet,
immer im Regen, der Asche in Öl
verzaubert, Ruß aus den Abgasen
der Autobahn – und auf dem Fenster
schreibt die Witterung, dass eine
Spur bleibt, wo unsichtbar
dein Glas war. der Sturm treibt
Zeichen rein – dahinter verschwindet
ein stummer Besucher – ein
verwittertes Gesicht, ein ver-
soffenes Ich, das allein besser
trocken bleibt. mehr immer
noch nicht